Das Motto von Schlagwerk Voermans lautet die Welt mit anderen Ohren sehen.

Dieser Leitsatz ist nicht vom Himmel gefallen. Mark und ich haben stunden-, wochen-, ach was, monatelangen hin und her überlegt, wie wir unsere Arbeit mit einem Satz betiteln können.

WAS bieten wir in unseren Konzerten? WELCHE THEMEN beschäftigen uns bei unseren Auftrittstrainings? Für WELCHE WERTE stehe wir? Und vor allem: WARUM machen wir das Ganze eigentlich?

So lange wir auch gebraucht haben, die Überschrift zu finden, die alles, was uns umtreibt, auf einen Nenner zu bringen, so einfach können wir dir hier demonstrieren, warum wir die Welt mit anderen Ohren sehen wollen:

Dafür schließe bitte einfach mal für eine Minute deine Augen und spitze die Ohren! Achte für diesen Moment nur darauf, was du hörst!

 

Halt, nicht mogeln, du liest einfach weiter. Gleich erfährst du, worauf ich mit dieser Hörübung hinaus will. Aber erst: 60 Sekunden HÖREN.

Wenn du bei dieser Übung viele Geräusche wahrgenommen hast, auf die du sonst nie achtest, wenn du es ganz schön ungewohnt fandest, einfach so dazusitzen und die Ohren zu spitzen und wenn du gedanklich zu deiner To-Do-Liste abgewandert bist oder die Stimme in deinem Kopf über diese sinnlose Zeitverschwendung zu schimpfen begann, dann geht es dir wie den meisten Menschen bei dieser Übung.

 

Das Laute Weltgewühle

In unserer schnelllebigen Welt mit unendlich vielen Reizen in einem vollen, getakteten Alltag inklusive Dauerberieselung durch (digitale) Medien, kommt das genaue Hinhören viel zu kurz. Wir hören den ganzen Tag (und die ganze Nacht! Unsere Ohren stehen immer auf Empfang, um für uns mögliche Gefahren zu erkennen), aber wir hören meistens unbewusst. Wir leben in unserer eigenen Soundkulisse, nehmen sie aber selten bewusst wahr.

Das Passive des Hörens scheint nicht in unsere schnelllebige Welt zu passen.

Wo alles aktiv, wachstumsorientiert und effektiv ist, bleibt für das passive Aufnehmen, das geduldige Zuhören, keine Zeit.

 

Die Ohren zu öffnen bedeutet das Herz zu öffnen

Das Schnelllebige und Laute unserer Welt ist nicht nur bedenklich, weil es der Gesundheit schaden kann – Lärm löst Stress aus, der zu Schlafstörungen, zu Herz-Kreislauferkrankungen und Hörschäden führen kann. Es ist bedenklich, weil wir auch einander nicht aufmerksam zuhören und uns damit das nehmen, wonach sich jeder Mensch von Herzen sehnt: Gehörtwerden, sich angenommen fühlen.

Viele Altenheimen-Bewohner*innen und Patient*innen im Krankenhaus sehnen sich nach jemandem, der einfach mal zuhört. Diese Art der Zuwendung ist mindestens ebenso wichtig wie die medizinische Versorgung. Nun lässt sich über unser Gesundheitssystem schimpfen, in dem diese Art von Zuwendung nicht vorgesehen ist. Wir können uns aber auch fragen, wie sehr wir selbst überhaupt dazu bereit sind, zuzuhören. Ob wir bereit sind, jemandem „Gehör zu schenken“. Das aufmerksame Zuhören setzt nämlich eine Haltung voraus, die den Werten unserer Zeit widerspricht:

    • Statt lösungsorientiert zu denken, höre ich nur zu, ich bewerte das Gesagte nicht.
    • Statt zu trösten, halte ich die Sorgen meines Gegenübers aus.
    • Statt meine eigenen Erfahrungen zu dem Thema beizusteuern, halte ich mich zurück.

Ein aufmerksames Zuhören verlangt, sich zurücknehmen, nicht im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Schwer auszuhalten für Mitglieder einer zunehmend narzisstischen Gesellschaft!

Aufmerksames Zuhören ist eine Haltung.

Eine Haltung, die nur jemand haben kann, der in sich ruht, der keine Bestätigung von außen nötig hat. Wenn ich einer anderen Person ohne Wertung zuhöre, beziehe ich das Gesagte nicht auf mich, suche nicht nach Lösungen oder Anekdoten aus meinem eigenen Erfahrungsschatz. Ich versuche auch keinen Trost zu spenden. Ich höre einfach zu.

 

Parallele Monologe

Ein Blick in die allabendlichen Talkrunden in den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten zeigt, wie wenig Zuhören an der Tagesordnung ist: Man lässt einander nicht ausreden, hat immer ein passendes Gegenargument parat, gerät in Rage ob der Meinung eines anderen Talkgastes. Die moderierenden Lanze oder Maischbergers haben Mühe, die erhitzten Gemüter zu beruhigen und jedem Gast den gleichen Redeanteil zukommen zu lassen. Es werden Statements abgefeuert, die Sendezeit wird effizient genutzt, die Zuschauer*innen bekommen spannende Unterhaltung, die sie zur eigenen Meinungsbildung anregt.

Das ist ein extremes Beispiel? In der Fernsehunterhaltung werden Standpunkte bewusst zugespitzt, es geht nicht darum, einander zuzuhören, sondern darum, möglichst kurzweilig möglichst konträre Meinungen vorzuführen? Das mag sein. Aber in privaten Gesprächen, in ganz alltäglichen Begegnungen mit anderen Menschen, klingt es nicht unbedingt anders. Oft wird das Gegenüber nur als Stichwortgeber*in benutzt, es wird aneinander vorbei und nebeneinander her geredet. Das Sendebedürfnis ist hoch, die Bereitschaft zum aufmerksamen Zuhören gering. Es finden haufenweise parallele Monologe statt.

„Ich bin so müde. Konnte kaum schlafen, morgen ist Probespiel und wenn ich nicht richtig abliefere, bekomme ich die Stelle nicht. Ich weiß nicht, was dann aus mir werden soll…“ – „Ach du, das kenne ich. Ich bin vor Prüfungen auch immer voll nervös. Hast du mal autogenes Training probiert? Das hat meinem Bruder wahnsinnig geholfen vor seinem letzten Bewerbungsgespräch in einer krassen Firma. Jetzt ist er dort schon zum Teamleiter aufgestiegen und verdient ein Vermögen. Wenn ich so viel Geld hätte, würde ich mir endlich den Traum vom eigenen Haus erfüllen. Vielleicht solltest du auch einfach mal raus aus der Stadt? Ein Waldspaziergang wirkt Wunder bei Stress!“

Diesen Dialog habe ich frei erfunden. Nach dem Vorbild unzähliger Dialoge, die ich gehört oder selbst geführt habe. Zwei Leute nehmen sich zum Anlass, um sich ihrer selbst zu versichern. Das Einlassen auf den anderen kratzt allerhöchstens an der Oberfläche.

 

Ab und zu ein bisschen Ruhe

Nun muss nicht jedes Gespräch ein tiefes Einlassen auf die Welt des Gegenübers sein. Natürlich darf es Smalltalks und Schlagabtausche geben. Aber wenn ein wirkliches Zuhören notwenig ist, wenn jemand ein Gegenüber braucht, in dem er oder sie sich spiegeln kann, dann sollten wir nicht nur ein Ohr leihen, sondern mit beiden Ohren und aller Aufmerksamkeit präsent sein.

Wie gerne würde ich nun mit einem ultimativen Tipp schließen, wie wir alle zu aufmerksamen Zuhörern werden. Aber die Haltung, die Weisheit, die dazu befähigt, lässt sich nicht in einer Checkliste zusammenfassen, die ich zum Download bereitstellen kann.

(Und ich bin mir ziemlich sicher, dass Seminare mit Titeln wie „Zielführende, erfolgreiche Gespräche durch aktives Zuhören“ viel Geld kosten und Techniken vermitteln, die garantiert dazu führen, dass der aktiv Zuhörende damit beschäftigt ist, die richtige Körperhaltung einzunehmen und alle Techniken korrekt anzuwenden, anstatt seine volle Aufmerksamkeit seinem Gegenüber zu schenken).

Vielleicht ist es ein guter Anfang, manchmal einen Moment innezuhalten und nur zu hören –  wie bei der Übung zu Beginn.

Und im Gespräch vor einer Antwort einfach mal wenige Sekunden warten. Eine kurze Stille entstehen lassen. Ein bisschen mehr Passivität wagen.

Diese kurze Stille, 3 Sekunden des Wartens, hat mir auch beim Üben meiner Instrumente sehr viel mehr Gelassenheit, sehr viel mehr Sicherheit und vor allem auch viel schnellere Fortschritte gebracht. Wenn du mehr darüber lesen möchtest, findest du hier einen Artikel dazu. Damit schließe ich also doch mit einem Tipp zum effektiveren Üben und bin nach meinem Plädoyer für mehr Passivität mir selbst vehement widersprechend wieder bei der Effizienz und dem Optimierungsstreben unserer Gegenwart angekommen!

Deshalb bleibe doch lieber noch eine Weile hier und HÖRE noch einmal auf deine Umgebung? Wie klingt deine Umwelt jetzt?

 

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Vielen Dank für deine Aufmerksamkeit!

P.S.: Wenn du mir noch weiter zuhören magst, findest du hier einen Artikel über 4x hören – die vier Seiten einer musikalischen Nachricht. Darin geht es um die Hörhaltung von Musiker*innen.